Hisako Inui / "Linien - Verdichtungen"
Fragmente, aus denen die Welt besteht
Hisako Inui, geboren 1958, studierte an der Staatlichen Kunsthochschule in Tokio. Während ihres Studiums setzte sie sich intensiv mit der Malerei von Paul Klee aus-einander. Während sie als Kunsterzieherin an einem Gymnasium arbeitete trat sie erstmals 1987 mit eigenen Werken an die Öffentlichkeit. Es waren Gipsarbeiten.*1 Betrachtet man Inuis Oeuvre zwischen 1997 und 1999 so stellt man fest, dass die flachen Acrylobjekte, die bis zu eineinhalb Meter groß sein können, möglicherweise Organe bergen, deren Formen sich an der Oberfläche durch spiralförmige Linien abzeichnen.*2 Diese Werke scheinen die Kraft und Hitze, die sie in ihrem Inneren ge-speichert haben, schlagartig zur Explosion bringen zu wollen.
1999 tritt wiederum ein Wandel ein. Die Auseinandersetzung mit der Linie findet Eingang in raumgreifende Installationen. Die Künstlerin zieht dünne, sich windende Linien in blau, schwarz und weiß auf Pauspapier.*3 Die Liniengeflechte erinnern an Nervensysteme, die sensibel auf Impulse der Außenwelt reagieren, wie die Fühler von Insekten. Hisako Inui setzt ihre Linien in eine Analogie zum Leben, das ungreifbar und instabil ist. Sie legt die bearbeiteten Papiere in Stapeln auf Regale,*4 bindet sie zu Büchern oder schließt sie in durchsichtigen Kästchen ein.*5 Damit ordnet sie bestimmten Zeichnungen verschiedene Räume zu. Mitunter kommt Schrift hinzu. Immer wieder greift sie dabei auf Märchen zurück, aus denen sie Sätze zitiert, die sich auf langen Transparentpapierrollen linear aneinanderreihen.
Bei einem Rückblick auf Inuis Werk der letzten zehn Jahre stellt man fest, dass sich ihr Interesse von der Thematisierung des geschützten Inneren – will man bei dem Körpervergleich bleiben – hin zur Haut, zu der mit der Außenwelt Kontakt aufnehmenden Oberfläche hin verlagert hat. Die weißen Linien, gezogen auf halb durchsichtigem oder weißem Papier verlieren ihre Materialität, lösen sich gleichsam in Luft auf. Die schwarzen Linien hingegen behaupten sich und vermitteln ein Gefühl von Gegenwärtigkeit und Dingfestigkeit. Für Inui verkörpern die weißen und schwarzen Linien das Geschehen, ja vielleicht auch den Konflikt zwischen Innerem und Äußerem.
Ihren jüngsten Arbeiten gibt Hisako Inui den Titel "Fragmente". Zwar sind ihre Fragmente nur kleine Stücke bemalten Papiers, sie können aber auch als bruchstückhafte Bestandteile der Welt aufgefasst werden. Denn die Welt besteht ja aus unzähligen Teilchen. Der eigene Körper ist ein wunderbarer Maßstab, um als Gradmesser für auch noch so winzige Teilchen zu fungieren. Inuis Werke lassen erahnen, dass man den eigenen Körper zugrunde legen kann, um die Welt neu zu formen. Zwar sind die einzelnen Teilchen sehr klein und vergänglich, dennoch können sie ihr Dasein als Elemente, aus denen die Welt besteht behaupten.
Aki IKEMOTO
*1

Gemischte Medium
(1987)
*2

NAMIDA - the power of the image
Acryl, Baumwollkanvas
1940 x 1303mm (1997)
*3

Ohne Title
Tinte, Graphit, Synthetikpapier
420 x 594mm (2000)
*4

Ohne Title
Pauspapier, Aquarellkrayon
(2003)
*5

Ohne Title
Pauspapier,grobes Gewebe,
Aquarellkrayon (2003)

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